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Peter Annweiler: Bildresonanz zur Ausstellung mit Bildern von Anne
Ludwig – sanctclara, 3. Juni 2008
Liebe Frau Ludwig, liebe Macher und Gäste der Ausstellung
„Tausendundeine Farbe“!
Auf ein Bild eine Resonanz geben – wie kann das gehen?
Denn da sind doch eigentlich zwei Sinne angesprochen:
Das Auge, das in Kontakt mit Licht und Farbe kommt und
das Ohr, das in Kontakt mit Schwingung und Schall gerät.
Wie soll das gehen, Auge und Ohr zusammenzubringen?
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Glaubt man dem Chemiker Friedrich Cramer, dann geht es bei Resonanzen nicht
nur um ein „Einkanalsystem“, sondern um ein Prinzip. Er
schreibt:
„Resonanz ist die Möglichkeit, den Zusammenhang der Welt
herzustellen und zu wahren. Resonanz ermöglicht das Erfassen
sinnlicher Eindrücke, die verarbeitet werden. Resonanz ist die
Grundlage des Zusammenlebens der Menschen.
Resonanz ist es, die die Welt im Innersten
zusammenhält.“
Das Resonanzprinzip bindet gewissermaßen die Sinne zusammen. Es
ermöglicht das
Erfassen von Schwingungsräumen. Es geht weit über das
Einkanalprinzip von nur einem Sinn hinaus. Wenigstens aber ermöglicht
das Resonanzprinzip eine Transformation von einem Sinnenkanal zum
anderen.
Eine Bildresonanz kann dann also genau dies leisten: Die Sinne zusammen zu
bringen. Sie ist ein hervorragend geeigneter Einstieg die sommerliche
Veranstaltungsreihe „Geschmack bilden“ und „Sinn
finden.“ Denn es geht doch auch in den kommenden Wochen hier in
sanctclara um eine sinn-übergreifende Geschmacksbildung: Es geht um
Sehen und Hören, um Schmecken und Tasten.
In den Bildern von Anne Ludwig finde ich das Resonanzprinzip bestätigt:
So kräftige Farben wählt die Künstlerin als Ausdrucksmittel,
dass in ihrem Zusammenklang unmittelbare seelische Schwingungen spürbar
scheinen.
Es ist zwar „nur“ „Ocker-Siena–Orientblau“ (
wie Ihre derzeitige Speyrer Ausstellung heißt). Aber die Farben
versetzen in Tiefenresonanzen. Sie transformieren Sinneneindrücke der
vordergründigen Wirklichkeit in einen farbigen Tiefengrund, der weit
über das Sichtbare hinausführt: Resonanzen des Unsichtbaren werden
in einer gewandelten Wahrnehmung freigesetzt.
Die Intensität der Farben macht es fast unmöglich, hier beim
deskriptiven Benennen von Kompositionen zu bleiben. Die Bilder von Anne
Ludwig kann man fast gar nicht „nur“ mit den Augen sehen. Durch
die farbliche Intensität gerät man sofort in Schwingungen: Als ob
alles durch die „Glut des Lebens“ gegangen ist, so prangen die
Acrylfarben auf den Leinwänden. Diese glühenden Farben kann man
eigentlich nicht beschreiben, man muss sofort von ihnen schwärmen, wird
hineingezogen in ein tiefgründiges Resonanz- und Assoziationsfeld der
Farben: Verglühen möchte ich in diesem Rot und dann zum Bade
abkühlen in dem Blau !
Gerne möchte ich an einem Bild noch einmal konkret werden: In Absprache
mit Elisabeth Schneider habe ich mich für ein eher vertrautes,
heimatliches Motiv entschieden: Das Spargelfeld von 2005, 120 x 40 cm, Acryl
auf Leinwand.
Alles andere als Spargelfarben sind auf dem Bild zu sehen; Kein
Spargelweiß, kein Weißburgunderflair , keine grüne
Grazilität des geschossenen Spargels.
Eigentlich nur transformierte Farben, die wir so in unserer Region kaum
kennen: Tiefrot im Vordergrund, Leuchtendrot im Zentralbereich des
Hochformats und dann der tiefgrüne und – blaue Farbkreis im oberen
Bildbereich. Eine authentische Signatur erhält das Bild durch die
Erdpigmente vom Original-Spargelfeld, die in den Farbauftrag eingearbeitet
sind. (Eine „Spezialität“ von Anne Ludwig, wie sie sich auch
in anderen Bilden wieder findet.) Als ob dieses „irdische
Rohmaterial“ das Pfand dafür enthält, dass es sich bei Anne
Ludwigs Bildern nicht um eine Verzauberung handelt, sondern um eine
gewandelte Sicht der Vordergründigkeit, die nichts mit Magie zu tun hat,
sondern mit Resonanzen auf die Wirklichkeit.
Die Künstlerin spielt in diesem Bild – im wahrsten Sinne des
Wortes – mit „Lokalkolorit“. Es ist, als ob die grünen
Zeiger am oberen Bildrand nicht nur Bäume sein könnten, sondern
auch die vertrauten Türme des Speyrer Doms: Wie behütende
Wächter haben sie sich jedenfalls aufgestellt und nach oben gestreckt.
Sie setzen das rötlich glühende Wachstum aus der Erde in Richtung
eines tiefblauen Himmels fort.
Als ob Blau- und Grünzone einen umfriedeten Raum, einen Rahmen der Ruhe
bilden, die Glut der Fruchtbarkeit beschützen und bewahren – so
kommt mir das Bild entgegen. Einzig das „Aufblitzen“ der Licht-
und Gelbtöne im mittleren Zentralbereich verrät etwas vom
unterirdischen Wachstum, was hier vor sich geht – ohne dass die ruhige
Kraft des Bildes aufgebrochen wäre.
Überhaupt: Die Ruhe dieses Bildes. Sie geht so stark mit der Kraft der
Farbe einher – dass man beim Betrachten beides spüren kann:
Beruhigung und Vitalisierung.
Mit ihren farblichen Transformationen lässt Anne Ludwig
Resonanzräume entstehen, die zugleich beruhigen und beleben. Die
Künstlerin nimmt uns mit auf den Weg der Wandlung: Farben werden zu
Energien. Formen zu Richtungen. Vertrautes weist in die
Universalität.
Diese Resonanzräume laden mich ein, die vordergründige Welt des
Sichtbaren zu transzendieren. Einzusteigen in den Tiefengrund der
Wirklichkeit, des wirkenden Seins. Sie laden mich ein, etwas zu spüren
vom „Sinn und Geschmack für das Unendliche“.
Diese schöne Formulierung stammt natürlich nicht von mir, sondern
sie ist zweihundert Jahre alt. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, der
große Berliner Theologe der Romantik, beschreibt mit dieser Formel das
Wesen der Religion. Religion ist für ihn „Sinn und Geschmack
fürs Unendliche“. Gegenüber der Metaphysik und der Moral
rehabilitiert Schleiermacher die Religion als eine ästhetische,
sinnliche Erfahrungsquelle. Ihr Wesen ist „Anschauung und
Gefühl“ des Universums.
Zweihundert Jahre später ist diese Rehabilitation noch immer nicht
selbstverständliches Allgemeingut geworden.
Deshalb möchte ich (zum Schluss) diese schöne Formel neben die
Bilder von Anne Ludwig stellen: Die Farben und Bilder von Anne Ludwig schulen
den „Sinn und den Geschmack für das Unendliche“ - deshalb
bin ich mir sicher, dass sie hier richtig sind: „Geschmack bilden
– Sinn finden“ – das wird in den nächsten Wochen mit
den Bildern von Anne Ludwig in diesen Räumen noch leichter gelingen.
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